S p e n d e n b i t t e

Seminare, Visagebühren, Flug, Auslandskrankenversicherung und und und. Das alles sind Kosten, die mein Auslandsjahr mit sich bringt. Ein Teil wird von der Entsendeorganisation bezahlt, ein anderer durch die staatliche Förderung von weltwärts, sowie von dem Freiwilligen, also mir, selbst und letztendlich übernimmt auch der Solidaritätskreis einen Teil.

Der Solidaritätskreis setzt sich aus Menschen, Institutionen und Firmen zusammen, die mich sowohl mental als auch finanziell unterstützen. Mental geschieht dies durch Mails, Briefe und Rundschreiben, die mir helfen, den Anker nach 'Zu Hause' nicht zu verlieren und finanziell durch Spenden, die in jeder Betragshöhe und zu jeder Zeit gegeben werden können (natürlich sind sie von der Steuer absetzbar!! ;)).

Beide Seiten sind sehr wichtig für mich und deshalb frage ich euch: Wollt ihr mein Solidaritätskreis sein? 

Informationen zu den Bankdaten und eine ausführlichere Erklärung findet ihr in meinem Soli Flyer, hier im Blog.
ENTER

Samstag, 8. Oktober 2011

„Subjuntivo“ – „Was sagst du, Senorita?“

Kurios, mit wie wenig Spanisch man so weit kommen kann und trotzdem noch total hilflos ist. Tägliche Missverständnisse reiben mir das immer wieder unter die Nase.
Gestern zum Beispiel habe ich all meinen Mut zusammen genommen und habe mit voller Überzeugung einen – meiner Meinung nach – super spanischen Satz losgelassen. Ich war mir echt zu 100 Prozent sicher, dass er von vorne bis hinten richtig war und über das Kindergarten-, ach Quatsch, Krabbelgruppenspanisch hinausginge, das ich sonst von mir gebe. Super zufrieden und unglaublich stolz auf mich selbst habe ich dann Achtung heischend in die Runde geblickt und fand mich Aug in Aug mit Unverständnis. Irgendein Mädchen hat sich dann ein Herz gefasst, und gefasst und gefragt, warum ich denn so komisch reden würde „Was sagst du da, Senorita?“. Ich habe den Satz dann noch einmal wiederholt, diesmal mit weniger Überzeugung. Und wieder hat man mich angeguckt, als würde ich grunzen und quacken. Ich bin ja selbst kein Freund des Subjuntivo (das ist so ein unglaublich überflüssiger Modus des Spanischen), aber in diesem Satz war er absolut garantiert angebracht! Hier scheint mich aber keiner zu verstehen. Deshalb bin ich ab diesem Zwischenfall wieder zu meinen Infinitivformen zurückgekehrt. So hält man mich vielleicht für semiintelligent, aber wenigstens blamiere ich mich nicht.
 Am Abend habe ich meinen gewohnten Platz zwischen meinen Schützlingen eingenommen. Und wie üblich galt meine erste Frage dem Essen. „Schemckt’s dir?“.Wenn ich mindestens drei einigermaßen überzeugte „Sí“s ernte, nehme ich mir auch etwas davon, ansonsten bleibe ich bei Brot und Wasser.
Bei der Antwort war diesmal ich diejenige, die Unverständnis gezeigt hat. „Hay Appi“ (Es gibt Appi). Was bitte???!! Zuerst dachte ich, sie würden mich wieder ärgern wollen. Immer, wenn ich etwas mache, was ihnen nicht in den Kram passt (sie an irgendwelche Aufgaben erinnern zum Beispiel), ergießen sie sich in einem Schwall des trinidadischen Dialekts. Neben dem Tropendialekt, der auf das „s“ verzichtet, gibt es noch einen anderen, den ich noch weniger verstehe. Hätte wirklich nicht gedacht, dass das möglich sein könnte, aber ich verstehe echt kein Wort. Es klingt wie „taptaptrabatabschnappkap-schnap“ und erinnert mich immer an diesen nervigen Schni-Schna-Schnappi Ohrwurm.
 Kein Wunder also, dass ich bei „Appi“ gleich an Schnappi denken musste und meine Biester mit relativ genervter Stimme daran erinnert habe, dass ich den Dialekt nicht verstehe „Sprecht anständig mit mir!“. Allerdings habe ich sie völlig zu Unrecht angefahren. „Appi“ ist nämlich der Name eines Getränkes hier. Es wird aus lila Mais hergestellt und wenn man nicht genau hinschaut (so wie ich), hält man es für dickflüssigen Kakao. Laut meiner Schützlinge schmeckt Appi „in anderen Häusern ja, hier nicht“. Davon wollte ich mich selbst überzeugen und habe mir auch etwas lila Sirup in meine Tasse füllen lassen. Es ist nicht übel. Aber wie alles andere hier auch sehr süß  und abgesehen von dieser Eigenschaft relativ nichtssagend.
Aber zu Wasser-Zucker-Kakao ist Appi eine willkommene Abwechslung.

Meine neueste Aufgabe ist übrigens das Medizinverteilen. Allerdings nur an zwei Kinder. Das Geschwisterpaar ist krank von Zuhause zurückgekommen, weshalb die Mutter ihnen Medizin mitgegeben hat. Obwohl diese Medizin der größte Witz ist. Das Mädchen bekommt 3 Mal täglich einenFlaschendeckel voll mit „nervenstärkenden Saft“ und der Junge Schnaps. Ich dachte echt, ich werde nicht mehr. Wer gibt einem 7 Jährigen bitte Schnaps???
 Richtig erstaunt war ich allerdings, als auf einmal der ganze Tisch Kinder ankam und sich ebenfalls über Kopfschmerzen beklagt hat. Auf meine Frage, was ihnen denn helfen würde, habe alle mit lüsternem Blick auf die Schnapsflasche gezeigt. Ich wusste beileibe nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich habe mich für den schockierten Blick entschieden und den Schnaps schleunigst wieder in meinem Zimmer eingeschlossen.

Meine Straeflinge und ich

Es ist unvorstellbar, wer hier alles gerade bestraft wird! Und das aus den unterschiedlichsten Gründen. Einige sind (mal wieder) nachts ausgebrochen, diesmal, um sich Früchte zu klauen, andere haben das Schulgelände verlassen, um zum Karaokebar-Restaurant-Geschäft zu gehen, wieder andere haben im See gebadet (was total gefährlich ist, wenn man die Schlangen dort drin bedenkt) und ein anderer Teil hat einfach seine Suppe nicht essen wollen.
Mittlerweile bin ich der Einfachheit halber dazu übergegangen, mir zu notieren, wer nichtbestraft wird. Wo man eigentlich annehmen sollte, dass die Sträflinge sich schämen, ist das genaue Gegenteil der Fall. Die braven Kinder nuscheln mit beinahe schamesrotem und gesenktem Kopf etwas vor sich, was mir sagen soll, dass sie nicht bestraft werden, während die anderen mir stolz ins Gesicht lachen.
Fast würde ich behaupten, sie starten eine Rebellion von unten und benehmen sich absichtlich daneben.
Allerdings habe ich so auch eine Woche Pause von meinem Oficio-Chaos. Das macht in meinem Kopf nämlich immer noch keinen Sinn. Ich will Gesetzmäßigkeiten und Regeln! Und was bekomme ich? Einen Haufen bolivianische Intuition. -.-
Eine Sträflingsgruppe muss nämlich die kompletten Oficios morgens und der andere Trupp die Runde am Nachmittag übernehmen. Die anderen dürfen in der Zeit spielen. Und auch für mich ist es ein Kinderspiel; ich habe nicht mehr 50 Kinder, denen ich hinterher laufen muss, sondern nur noch 8.
Tja und weil so nicht alle bestraft werden können, muss der Rest Wasser von der Pumpe zum Internat schleppen, 15 an der Zahl. Und auch das muss ich bewachen. Eigentlich ist es ein simpler Job, einfach ein paar Striche hinter die Namen setzen. Trotzdem bin ich jeden Abend mindestens genauso geschlaucht wie meine Sträflinge. Es ist wirklich nicht einfach, einen Blick auf alle Schummler gleichzeitig zu haben! „Senorita, die anderen 2 Eimer hast du gar nicht aufgeschrieben!“ „Senorita, ich habe schon viel mehr getragen, frag meinen Freund!“ „Nein, Senorita, ich bin wirklich schon fertig!“ Und wenn sie gar nicht mehr weiter wissen, texten sie mich im schönsten Dialekt mit Lichtgeschwindigkeit zu, in der Hoffnung, mich so sehr zu verwirren, dass ich meiner eigenen Liste nicht mehr traue. Aber da sind sie bei mir an der falschen Adresse! Ich schlage mich nicht täglich mit Dona Dumpfbacke herum, um dann an einer Liste zu scheitern. Zumal ich der absolute Listenkönig bin. „Rambo, nein, ich WEISS, dass du erst 5 Eimer getragen hast! Mario, du sollt deinen Eimer VOLL machen!“ Und schon wieder stecke ich in einer Diskussion, bei der ich verbal einfach nur verlieren kann.
Es tut mir wirklich leid, wenn ich sehe, wie 9 jährige Jungs sich mit 2 2l Eimern über 2 Felder mühen. Auf halber Strecke machen sie dann meist Pause, warten auf den nächsten Sträfling und zuckeln dann gemeinsam weiter. Dabei verschütten sie jeweils einen Liter, mangels Kraft aber auch aus Frust.
Manche hören auch einfach auf und lassen mich mit meiner Liste sitzen. Aber die Liste lügt nicht und so trabe ich mit meinem Sträflingstrupp am nächsten Tag wieder zur Pumpe. Alle relativ Lustlos.
Mir gefällt die Aufgabe des Sklaventreibers überhaupt nicht.
Den ersten Tag haben sie etwa alle 7 Eimer getragen, bis sie die Motivation verlassen hat. Am zweiten Tag alle ungefähr 11 und am dritten Tag hatte ich einfach Mitleid mit ihnen. Die letzten beiden Eimer mussten sie nur noch eine Hand breit mit Wasser füllen. Pädagogisch-didaktisch kann ich das insofern rechtfertigen, als dass sie ohnehin schon mehr als nur 15 Eimer getragen haben und
wahrscheinlich wieder bei 11 Eimern aufgehört hätten, wenn man ihnen keinen kleinen Motivationsschub in Aussicht gestellt hätte.

 

Samstag, 1. Oktober 2011

Brotverlust und Liebesbrief

Langsam habe ich das Gefühl, schwimmen zu lernen, anstatt untergehen, Wird auch langsam Zeit, immerhin bin ich seit etwa über 3 Wochen hier! Trotzdem sind die Wellen, die mir entgegenschlagen übermannshoch und wirklich eingelebt habe ich mich immer noch nicht. Jeden Tag kommt eine Kleinigkeit mehr dazu, die ich mitbekommen und – wenn ich Glück habe – verstehen kann.
Allerdings gibt es auch immer noch Dinge, ich zu gut Deutsch richtig verhaue. Brotbacken zum Beispiel. Teigmatschen, kein Problem, das kriege ich hin. Also auf ging es zur Backstätte, bewaffnet mit einem Haufen Trockenhefe, einem riesen Sack Mehl und 2 großen Eimern Pumpenwasser. Die Kinder der Brot-gruppe scharrten bereits unwillig mit den Hufen, als ich endlich mit der Hefe ankam. Na das konnte ja was werden. Als ich mir meine Matschgefährten genauer besah erkannte ich zu allem Unglück die biestrigen Jungs aus der Prügelecke, die mir schon bei den Mahlzeiten immer zu schaffen machen. Und wie sollte es anders sein, haben sie es sich mittendrin anders überlegt und sind auf und davon zum Spielplatz. Ich habe mir erst gar nicht die Blamage gegeben, ihnen hinterher zu laufen und zu schimpfen. Für ihre Ohren klingt es undenkbar komisch, wenn man ein „s“ ausspricht und vor allem bin ich mir auch nie so sicher, ob ich das, was ich sage, wirklich richtig ist. Wahrscheinlich gebe ich die lustigsten Dinge von mir, die hier kein Mensch versteht. Kein Wunder also, dass ich dauernd ausgelacht werde, wenn ich mit dem Subjuntiv daher komme.
Meine Teigmatschgruppe war also um die Hälfte geschrumpft. Aber Glück im Unglück, meine kleine Sympathisantengruppe hatte meinen mentalen Hilferuf, der eigentlich eher an Gott gerichtet war, vernommen und hat kräftig mitgematscht. Im Gegensatz zu mir hatten sie eine klare Vorstellung davon, welche Konsistenz der Teig haben muss. Es gibt die Stufen „klebrig“, „undurchdringbar“, „ölig“,  „pappig“ und „gut“. Allerdings konnte ich da bei allem Einfühlungsvermögen keinen Unterschied erkennen und war stets der Meinung nach dem nächsten Mal durchkneten fertig zu sein. Ha, denkste. Danach kam noch eine Ladung Mehl und noch ein Schuss Öl. Und als ich dann wirklich felsenfest davon überzeugt war, diesmal tatsächlich fertig zu sein, haben sie die zweite Flasche Öl aufgemacht.
 Trotz der freiwilligen Hilfe, waren wir später als geplant fertig. Und dann kam auch noch mein Ofen-Problem dazu. Was weiß denn ich, wie man einen Holzofen richtig in Gang bringt!! Ich kann mit Umluft, Heißluft, Gas was auch immer backen UND das Ergebnis kann sich sehen lassen. Aber ein Holzofen?? Mir war sofort klar, dass wir uns nicht verstehen würden. Als er dann endlich irgendwann heiß war, ist er auch gleich wieder ausgegangen. Dummer Hund! Wie gesagt, wir stehen auf Kriegsfuß. Es wurde dunkel, es wurde Nacht, es wurde einfach nicht besser. Vor allem als dann auch noch der Strom ausfiel. Nicht, dass ich den zum Backen gebraucht hätte, nein nein. Ich habe ja mit einem Holzofen gebacken. Es wäre nur schön gewesen zu wissen, welche Flecken Erde nicht mit Käfern übersehen waren. Oder wo der Holzstapel anfängt bzw. aufhört. So musste ich jedoch über knackende Chitinpanzer waten und mir immer und immer wieder dieselbe Stelle am Knie anschlagen. Am liebsten hätte ich wie ein kleines Mädchen mit dem Fuß aufgestampft (wenn ich dann nicht auf den Käferkadavern ausgerutscht wäre), dem Ofen einen ordentlichen Tritt versetzt (wenn ich denn im Stockfinsteren getroffen hätte) und wäre ins Bett gegangen. Aber es half alles nichts, und so stand ich schimpfen, kreischend und fluchend bis um 11 Uhr nachts im dunklen Ofenraum.

Trotz meines Scheiterns traut man mir hier immer mehr zu und weiß nicht recht, ob ich das als Belohnung oder Strafe ansehen soll.
Meine neue Aufgabe ist die Suppenkontrolle. Die Kinder essen ihre Suppe nicht (ha, kann ich gut verstehen!) und werden deshalb krank, sagt zumindest die Dona. Ich glaube zwar eher, dass es anders herum ist, aber meiner neuen Ehrenaufgabe muss ich natürlich nachgehen. Ich habe sogar einen festen Sitzplatz bei den Kindern. Und jetzt ratet mal wo, das Schicksal ist mir hold, ich sitze bei den kleinen Biestern, die mich mit dem Teig allein gelassen haben. Oh, ich hatte eine Mordslust, ihnen bergeweise Suppe vor den Latz zu knallen!! Aber ungesehen hatte ich selbst einen Teller vor mir stehen.
Toll.-.-Die Ausrede, ich hätte eine Allergie gegen Kuhzunge und Hühnerbeine wäre wahrscheinlich auch hier ziemlich profan gewesen. Also habe ich todesmutig zum Löffel gegriffen. Geh mit gutem Beispiel voran, du kannst jetzt nicht so respektlos sein, Giulia! Auch meine Oma hätte gewollt, dass ich probiere. Einen Löffel voll, so war die Regel zu Hause und daran wollte ich mich auch hier halten. Aus einem wurden mehrere und bis zur Hälfte habe ich mich durchringen können. Nur leider wurde ich für diese Heldentat mit Bauchschmerzen belohnt.
Irgendwie hat uns diese Leidenserfahrung zusammengeschweißt, die Biester und mich. Seitdem sind wir Freunde, und versuchen gemeinsam Argumente zu finden, warum es viel besser wäre, wenn der andere die Kuhzunge isst.
und so hat sich meine kleine Sympathisantengruppe vergrößert. Heute durfte ich sogar beim Liebesbriefschreiben helfen. Über das Schulsystem haben wir ja bereits gesprochen. Aber es hätte mich stark gewundert, wenn „Rambos“ Angebetete nach Erhalt des Wisches nur den leisesten Hauch einer Ahnung von seiner unendlichen Liebe zu ihr gehabt hätte. Ich wusste nämlich nichts mit dem unzusammenhängenden Strichen anzufangen, die mir vor die Nase gehalten wurden. Nach und nach wurde mir dann klar, dass es sich um Buchstaben handeln soll und das diese Buchstaben in ihrer phantasievollen Anordnung auch eine Bedeutung haben sollen. Es hat mich stark an Malen-nach-Zahlen erinnert. Aber mit viel Kreativität habe ich dann „teamo“ erkennen können. Angenommen „Rambos“ Flamme hätte nicht so viel Geduld wie ich, hätte sie es ebenso gut für eine verwitterte Kriegserklärung aus dem 18. Jahrhundert halten können. Oder für den Lageplan irgendwelcher Grabstätten. Um das zu verhindern habe ich den Brief dann in meine Schrift übernommen und ein paar Herzen dazu gemalt. Nur für den Fall der Fälle. Ich bin des Spanischen ja nicht wirklich kundig, aber ich könnte schwören, dass seine Syntax auch für hier Ansässige sehr schwer zu verstehen ist. Obwohl die Sätze sehr einfach gehalten waren. Nachdem mein Werk vollbracht war, hat „Rambo“ dann ein Herz aus dem Zettel gefaltet. Ich war echt baff, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut!
Er kann ja Tore schießen, wie ein Weltmeister. Aber was die Feinmotorik anbelangt… diplomatisch ausgedrückt zählt das nicht zu seinen Stärken.
Heute hat er mir dann strahlend die Antwort präsentiert: ja, er wird auch zurückgeliebt. Süß, oder?

Reina de Primavera


Meiner erste spanische Fiesta! Während zu Hause der Herbst beginnt, fängt an diesem Ort der Frühling an. Ganz klarer Fall, eine Frühlingskönigin muss her. Deshalb haben sich die Mädchen aus der Schule super chick herrausgeputzt, Prinzessinenkleider angezogen und sich geschminkt. Vor dem Templo standen sie dann aufgereiht, wie bei einer Misswahl und während eine Schwester ihre Namen aufgerufen hat, sind sie Kusshändchen werfend und winkend über die Wiese gestöckelt. Es war schnell klar, welches Mädchen bei welchen Jungen besonders gut ankommt, nicht zu übersehen und bestimmt nicht zu überhören. Danach konnte man dann “seine” Frühlingskönigin wählen, indem man Geld für sie gespendet hat – nicht viel, ein paar Cents. Bei den Mädchen aus dem nahegelegenen Dorf ist die ganze Familie gekommen, um ihrem Prinzesschen zuzujubeln. Die Mädchern aus dem Internat waren alleine- abgesehen von mir und den Donas. Das hat mir so leid getan, dass ich versucht habe, lauter zu jubeln, als alle Familien zusammen.
Als die Frühlingskönigin dann feststand, ein Mädchen, dessen Eltern besonders viele Centos gespendet hatte, gab es Mittagessen auf der Wiese – Hühnerbeinsuppe, wie gewöhnlich. Also saß ich mit meiner kleinen Sympathisantengruppe auf dem Gras, inmitten von Kühen, habe mich um die Hühnerbeine gemogelt und dem Treiben um mich herum zugeschaut.
Am Abend wurde dann getanzt. Dazu wurde der Comedor antiguo, der sonst als Brotbackstätte oder Fernsehsaal genutzt wird, freigeräumt und die Schwestern haben ihren CD-Player aufgebaut. Natürlich nur bolivianische Lieder, so viel Patriotismus musste sein. Und dann sollte getanzt werden. Die Mädchen waren ganz wild darauf, die Jungs haben sich anfangs auf die umstehenden Bänke verdrückt. Und ich hatte keine Wahl. Klar, ich kann tanzen. Das ist nicht das Problem. Aber ich ziehe es nicht unbedingt vor, die Allererste auf der Tanzfläche zu sein, im gleißenden Licht von allen Neonröhren, die man nur auftreiben konnte, angestarrt von allen. Aber meine Sympathisantengruppe hat mich kurzerhand einfach hinterhergeschleift und da stand ich nun. Und wäre am Liebsten im dreckigen Boden versunken. Einem Mädchen hatte ich aus Spass vorher Discofox und Tschatschatscha gezeigt und das hat mich dann gerettet, zumindest vorerst. Tja, hätten die wohl nicht gedacht, dass wir auch so tanzen können. Zu allem Überfluss mussten sie das auch lautstark kundtun, weshalb ich mich ganz schnell wieder auf meine Bank verkrümeln wollte. Aber nichts da, einmal Blut geleckt, wollten sie immer mehr Drehungen lernen und so wurde nichts aus meinen heimlichen Rückzugsplänen.
Die Jungs haben mich letztlich gerettet. Wahrscheinlich konnten sie es einfach nicht ertragen, dass zwei Mädchen miteinander tanzen, und so war ich aus dem Schneider, bzw. zurück auf meiner geliebten Bank.
Meine Päarchentheorien haben sich dabei mehr als bewahrheitet. Meine sonstiger Sitzplatz in der Küche ist mir ein guter Beobachtungsposten und ich habe voll im Blick, wer wann mit wem seine allabendliche Runde um den Wohntrackt dreht. Ziemlich frühreif die Bolivianer! Manche haben nicht nur einen Spaziergefährten, sondern gleich 4 oder 5. Das wechselt dann alle paar Tage, bis wieder der erste an der Reihe ist. Den Donas gefällt es nicht, wenn sie sie Händchen halten sehen. Ich bin da relativ tolerant. Solange gewisse Grenzen nicht überschreiten, habe ich nichts gesehen.
Obwohl das mit den Grenzen hier so eine Sache ist. Letztens sind zwei Mädchen abends abgehauen, um sich heimlich an der Schule mit Jungs zu treffen. Sie sind zwar erst 11 und 12, aber ich stimme den Donas zu. Da war bestimmt mehr als Händchenhalten! Schneller als sie gucken konnten, waren sie wieder im Internat und hielten Besen und Schrubber in den Händen. Da kennen die Donas kein Pardon. Aber wie gesagt, ich kann ihre Befürchtungen nur zu gut nachvollziehen. Das Thema Aufklärung scheint hier wenn überhaupt nur hinter vorgehaltener Hand besprochen zu werden. Vielleicht müssten sie sich keine so großen Sorgen machen, wenn sie die Dinge direkt ansprechen würden. Aber Bolivien ist eben sehr katholisch, auch wenn das meiner Meinung nach keine Entschuldigung ist.

Mein Tagesplan

MEIN TAGESPLAN
Ein paar Aufgaben traut man mir mittlerweile zu, obwohl ich immer noch kaum etwas verstehe. Irgendetwas sagt mir aber, dass das noch nicht alles sein kann. Ich bin mir sicher, dass noch ein Haufen Arbeit auf mich wartet.
Hier ist mein Tagesplan, zumindest so, wie er eigentlich aussehen sollte. Ich verstehe dieses System hier, wenn es eins gibt, überhaupt nicht, und komme mir regelmäßig überflüssig vor, wenn meine Aufgabe bereits erledigt ist oder aus mir unerfindlichen Gründen ausfällt. Dabei bin ich absolut pünktlich. Versteh das einer.
5:40 Uhr Aufstehen, Zähne putzen und waschen, soweit Wasser vorhanden ist. Sonst  muss das auf später verschoben werden, wenn ich Zeit finde, der Pumpe zwei Felder weiter einen Besuch abzustatten. In diesem Fall begnüge ich mich mit Zahnpflegekaugummis und Babyfeuchttüchern – ein Hoch auf deren Erfinder!!
5:48 Uhr Ich bin selbst jeden Morgen erstaunt, wie schnell ich im Badezimmer fertig bin. Allerdings ist das hier auch kein Ort, an dem man lange verweilen möchte.
Ich mache mich auf meinen Weg und schlage die Tür mit einem Kreischen zu, wenn schon wieder ein Frosch Einlass erbittet (Nein, du kommst hier nciht rein!), stolpere über eine der dreihundert Katzen und gehe schimpfend weiter in Richtung Glocke, um dort meines Amtes zu walten.
Im Grunde sollten die Kinder dadurch geweckt werden, so habe ich es zumindest verstanden. Und doch muss ich immer wieder mit einem leichten Grummeln feststellen, dass schon alle auf sind und mir bereits geduscht entgegenkommen. Ich bin ja wirklich sehr leichtgläubig, aber mir kann einfach keiner weiß machen, dass die Kinder hier gerne früh aufstehen!
5:50 Uhr Ich lasse mir den Spaß nicht nehmen und mache ordentlich Radau, indem ich den Eisenstab mit einem ordentlichen Krawumms gegen den Eisenring alias Glocke knalle, wobei ich versuche, so fest zuzuschlagen, dass mein Schimpfdrang abnimmt.
Für Gewöhnlich mache ich mich dann auf zu den Schlafsäalen, um nachzugucken, ob auch wirklich alle wach sind. Und für Gewöhnlich werde ich dann von einem “Got morrning missss” begrüßt. Ich habe wirklich lange dafür gebraucht, um zu verstehen, was man mir jetzt schon wieder an den Kopf knallt. Die Aussprache englischer Wörter ist einfach grausig – vermutlich weil man es hier einfach nicht gewöhnt ist, einen s-Laut zu formen. Trotzdem sind alle furchtbar stolz auf sich, wenn sie mit ihrer Meinung nach englisch klingenden Wörtern um sich schmeißen können.
Nach dem morgendlichen spanischen Vaterunser laufe ich noch ein bisschen planlos über das Gelände und beobachte Kinder bei ihren Aufgaben. Mittlerweile habe ich nämlich spitz bekommen, dass sie bereits vor dem Frühstück Oficios, also Pflichten, haben. Deshalb tapse ich ein wenig unentschlossen hin und her, gucke zu und versuche mir einen Reim auf die bolivianischen Gesetzmäßigkeiten des Arbeitens zu machen. Anfangs habe ich noch die Kinder, die einfach nur rumsaßen, gefragt, ob sie nicht auch Oficios hätten. Aber das habe ich aufgegeben. Ich kenne gerade mal ein Dreiviertel aller Namen und die Kinder wissen genau, dass sie mir einen vom Pferd erzählen können, weil ich sowieso nichts verstehe.
6.30 Uhr Ich bin wieder in meinem Zimmer und versuche, mich mental auf den Tag vorzubereiten, mir Mut zu machen und das Heimweh zu unterdrücken. Wenn ich Glück habe, schlafe ich darüber ein, ansonsten ergieße ich mich in Schimpftiraden.
7.00 Uhr Ich darf wieder Krach machen, denn es gibt Frühstück.
Meistens habe ich mich bis dahin wieder beruhigt und nehme meinen Platz an der Durchreiche zur Küche ein, wo die Kinder ihr Brot und ihren Kakao bekommen.
Größtenteils benehmen sie sich, es ist aber auch schon vorgekommen, dass hier und da Brot geklaut wird. Und da versteht man hier gar keinen Spaß! Natürlich, es ist nicht viel, was die Kinder zu essen bekommen. Ein kleines trockenes Brot, das ich “Plättchen” genannt habe, weil es wie ein plattgedrücktes Brötchen aussieht, und Kakao, der übrigens nicht so schmeckt wie in Deutschland. Er wird hier mit Wasser angerührt, Milch habe ich hier noch nirgends gesehen. Und zusätzlich landet eine ganze Packung Zucker im Kakaokessel, das habe ich mit eigenen Augen gesehen, ansonsten hätte ich es wahrscheinlich selbst nicht glauben können. Es muss fürchterlich süß schmecken, wie alles andere auch.
Es gibt hier eine Ecke Jungen, die sich sprichwörtlich wie die Axt im Walde verhalten. Knigge wie in Deutschland findet man hier sowieso nicht, das habe ich relativ schnell verstanden. Aber diese Gruppe halbstarker 10 Jähriger hat es darauf abgesehen, jeden Morgen mindestens eine Sache zu zertrümmern. Sei es ein Becher, eine Schüssel oder das T-shirt des Gegenüber. Dass sie sich noch nicht die Köpfe eingeschlagen haben, ist mehr als verwunderlich.
Nach diesem Jahr muss ich vermutlich noch mal durch Omas gute Schule, bevor ich mich in einen deutschen Mc Donalds traue. :D
7.30 Uhr Mein Frühstück. Ich esse nicht mit den Kindern im Speisesaal, sondern in der kleinen Küche, wo auch die anderen Angestellten ihre Mahlzeiten einnehmen. Und darüber bin ich auch ganz froh. Ich habe zwar vor, vor keinem Essen hier zurückzuschrecken und wenn doch, dann so, dass es keiner bemerkt. Aber den Zucker-Wasser-Kakao muss ich wirklich nicht trinken.
Für mich gibt es natürlich mehr als ein Plättchen. Andererseits habe ich ein schlechtes Gewissen, immerhin bin ich nicht diejenige, die Nachmittags auf dem Feld schufften muss.

Ab jetzt habe ich offiziell frei, bis dass die Kinder aus der Schule kommen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass ich nichts zu hätte.
Ich kann zum Beispiel mein Zimmer putzen (eine Neurose, die mehr zu- als abgenommen hat seitdem ich hier bin), Mücken oder Frösche jagen, ein bisschen über mich selbst schimpfen, Wasser von 2 Felder weiter holen oder mich über ein täglich neues Dutzend Mückenstiche ärgern. Vielleicht wirkt das Anti-Mückenspray ja in Chile oder Peru, hier macht es nicht den geingsten Eindruck auf die Biester. Weiterhin kann ich Wäsche waschen oder neue Vokabeln lernen- Dschungelisch natürlich, in meinem Wörterbuch sind diese Ausdrücke nicht zu finden.
Wenn ich dann noch Zeit habe, kann ich Musik hören, lesen (Danke an alle meine Vorgängerinnen, die Bücher hiergelassen haben!) oder Tagebuch schreiben. Es ist filmreif! Neben meinem Glossar an Neologismen enthält es meine ganzen Assoziationen und Theorien, die diesen Ort betreffen. Von daher sorge ich für mein persönliches Amusement selbst, indem ich meine eigene Comedy schreibe.
Ich könnte mich auch zu einer der Donas setzen, aber Gesellschaft ist im Augenblick nicht das, was ich brauche. Zumindest nicht, wenn ich eh kein Wort verstehe.
12.20 Uhr Vor meinem Fenster erhebt sich ohrenbetäubender Lärm und sagt mir, dass 50 Kinder aus der Schule kommen und Hunger haben. Also statte ich Dona Maria einen Besuch in der Küche ab, um zu sehen, wie weit das Essen ist. Danach wäre es eigentlich meine Aufgabe, wieder Krach zu machen, aber oft ist das bereits erledigt, wenn ich losgehe.
Also begebe ich mich in den Speisesaal und das Frühstücksszenario wiederholt sich. Allerdings gibt es jetzt statt Kakao und Brot Wasser und Hühnerbeinsuppe, gefolgt vom Hauptmenü Reis mit Fleischstücken, über deren Ursprungsort ich mir lieber keine Gedanken mache.
13.00 Uhr Mein Mittagessen. Meistens habe ich Glück und bin allein, sodass es niemandem auffällt, dass ich mich um die Hühnerbeine in der Supper herummogele.
Dann kurz abspülen mit der Hand. Kein Thema....nur leider wird es nicht so sauber wie zu Hause. Aber darauf hatte ich mich eingestellt und versuche, mich selbst auszutricksen, indem ich mir das Spülwasser nicht so genau anschaue. Diese Strategie klappt auch wirklich hervorragend gut.
14.00 Uhr Estudio. Die Kinder versammeln sich alle im Sala de Estudio, um dort ihre Hausaufgaben zu erledigen. Ich vermute mal ganz stark, dass es an mir wäre, sie dabei zu kontrollieren. Aber wie bereits erwähnt habe ich nicht die geringste Chance, solange ich nicht verstehe, was sie sich in ihren nich vorhandenen Bart nuscheln. Und den Schwestern hier ist es ebenso recht, dass sie sich die Zeit mit Kartenspielen oder malen vertreiben. Also werde ich mich da nicht einmischen. Vor allem, weil ich (noch) kein Gespür dafür habe, was auch nach bolivianischen Maßstäben “zu laut” “zu dreckig” oder “zu falsch” ist.
Das Schulsystem hier hinterfrage ich ein bisschen. Ich hatte nicht erwartet, dass es wie zu Hause sein würde. Aber trotzdem war ich letztens leicht shockiert. Ich saß neben einem der kleinsetn Jungen und habe durch sein Schönschreibheft geblättert, das einen relativ zerfledderten und bematschten Eindruck gemacht hat. Er war gerade dabei, Additionsaufgaben mit Hunderterübergängen zu lösen, weshalb ich seine Verzweiflung durchaus verstehen konnte. Mathe ist nun wirklich nicht meine größte Begabung. Trotzdem hat er mich gefragt, ob ich ihm helfe. Na, was solls, das konnte schon nicht so schwer werden. Die 2. Klasse würde ich ja wohl hinkriegen. Doch musste ich feststellen, dass er noch nicht mal weiß, wie viele Finger an einer Hand sind und mit zwei Händen schlicht überfordert ist. Wie sollte er dann bitte Additionen über 100 durchführen? Mit ganz viel Fingerabzählen und Vorsagen, haben wir es dann irgendwann geschafft und am Ende war ich genauso erledigt wie er.
16.00 Uhr Oficios. Der morgendliche Vorgang wiederholt sich. Ich laufe wieder ein bisschen durch die Gegend mit der nicht ganz überzeugten Hoffnung, das System an diesem Ort eines Tages zu verstehen.
So viel, wie ich verstanden habe - und es hat mich wirklich lange gekostet, ehe ich eine rationale Theorie erstellen konnte – sind die Kinder in Gruppen eingeteilt, die jeweils von einem größeren Kind geleitet werden sollen. Ein Teil der Gruppe muss die Oficios morgens erledigen, der andere Teil das Gleiche nochmal am Nachmittag. Soweit die Idee dahinter. Praktisch klappt das nämlich nicht ganz.
Oficios sind zum Beispiel Wege fegen, Gemüsegarten (er-)tränken, Templo fegen, Brot backen, Sala de Estudio fegen, in der Küche helfen, Müll aufsammeln, Duschen und Bäder putzen.
Die großen Jungs müssen zudem in den Chaco, so nennen sie hier das umliegende Feld plus Wald, um dort Wege mit der Machete freizuschlagen oder Holz zu machen. Ich habe sie schon zwei mal begleitet, eine Machete wollten sie mir allerdings nicht geben. Wahrscheinlich auch besser für meine eigene Gesundheit. Obwohl der Verlust vom großen Zeh mich bestimmt wieder nach Hause bringen würde... – Na, so verzweifelt bin ich zum Glück noch nicht. :D
17.00 Uhr Ich mache wieder Krach und rufe zur “Merienda”, einer Art Vesper, bei der jedes Kind ein Tütchen mir Keksen bekommt, die sogar richtig lecker sind. Und diese Aufgabe hat mir bisher noch keiner weggenommen, worauf ich richtig stolz bin.
Die Kekse sind ein optimales Druckmittel. Den Kindern schmeckt das Essen hier ebensowenig wie mir und deshalb verschmähen sie es regelmäßig am Mittagstisch und schieben jetzt natürlich Kohldampf. Und so frage ich immer “hast du dein Oficio gemacht?”, bevor ich ihnen ihre Kekse aushändige. Allerdings können sie mich auch hier wieder übers Ohr hauen. Indem sie mir ganz dreist ins Gesicht lügen oder mir verklickern wollen, dass sie der andere Bryan oder die andere Maria seien und das Wegefegen nicht ihre Aufgabe sei.
Naja, immerhin versuche ich es und zeige Engagement.
Bis zum Abendessen ist freier Nachmittag, den die Kinder dazu nutzen, um in brütender Hitze Fußball zu spielen oder um gemeinsam zur Pumpe zu trotten, um dort zu waschen. Dabei verwandeln sie den sonst so trockenen Boden in eine einzige Sumpflandschaft, die sich über den Umkreis von 3 Meternerstreckt. Wenn man dann nicht aufpasst und mit geübten Tritten auf die Ziegelsteine zielt, steckt man fest. So wie ich beim ersten Mal, was bei den Kindern zur allgemeinen Erheiterung führte, während die Bryans und Marias mir helfen mussten.
Zum Fußball- oder Basketballspielen kann ich nur sagen.. – verflixt schnell und verflixt klein diese Bolivianer! Sie dribbeln quasi durch meinen Beinem hindurch. Am Ende der ersten Runde war ich puterrot im Gesicht und habe nur noch nach Wasser gelechzt. Die Hitze verursacht schon bei normalen Bewegungsabläufen Kopfschmerzen, wenn ich zusätzlich noch versuche, mich sportlich zu betätigen, habe ich ganz verloren. Zu den Kindern meinte ich deshalb, dass ich wieder mitspielen würde, wenn es kühler ist. Hehe, darauf können sie lange warten! :D
Deshalb sitze ich jetzt immer im Schatten und erzähle mit einer kleinen Gruppe ebenfalls fauler Geschöpfe. Ich berichte von Deutschland, sie erzählen mir ihre Geschichten. Und dann weiß ich nie, was mich trauriger macht. Dass ich hier in der Pampa sitze, während es zu Hause so schön ist oder dass so junge Menschen schon so viele schlimme Dinge zu erzählen haben.
Und dann wollen sie natürlich auch Englisch lernen. Doch dafür sehe ich definitiv schwarz. Das hängt nicht nur mit ihrer schrecklichen Aussprache zusammen, sondern auch mit dem hier nicht vorhandenen Sprachgefühl. Deshalb übersetze ich mit ihnen Justin-Bieber-Songtexte (auch hier ein Star...). Nunca diga nunca, never say never.
J
19.00 Uhr Krach von mir (oder auch nicht), Abendbrot von der Köchin.
Jetzt ist es meist richtig laut und ich muss “Rambo” (seinen richtigen Namen kenne ich nicht) mehrmals zu seinem Platz begleiten, wenn er sich mal wieder mit irgendwem in den Haaren liegt.
¿Giulia, jugar? Schwer zu ignorieren und irgendwann wird aus der Frage, ob wir spielen, ein Befehl. Also rufe ich beim “kotzenden Känguru” Befehle durch die Gegend und blinzle mir bei “Parpardear” die Augen müde. Nach einem Abendgebet werde ich aus meinem Dienst entlassen und gehe dankbaren auf mein Zimmer.
Endlich kann ich nutzloses Mückenzug und Schmutz abwaschen – vorrausgesetzt, von meinem Wasser ist noch was da, sonst muss ich mich mit Babyfeuchttüchern abseifen. Erschlagen vom ganzen Krach, den Bemühungen, etwas zu verstehen und vor allem vom Schimpfen über mich selbst und meinen tollen Bolivienplan krabbel ich unter mein Moskitonetz. Ich krabbel noch einmal heraus, streiche einen weitern Tag auf meinem Kalender durch, pfropfe mir die Ohren mit Ohropax zu und schlafe mit dem Gedanken an zu Hause ein.

Willkommen in der Pampa

ANKUNFT IN BEGONA
Eine lange Durststrecke. Für beide Seiten. Bisher habe ich es nicht geschafft, erfolgreich ins Internet zu kommen, aber das zu erklären, würde zu lange dauern. Es ist ziemlich viel passiert, leider eher Unschönes. Aber Gefühlsduseleien sollen hier gar nicht erst einreisen. Ganz kurz nur: In Begona ist es mehr als ein bisschen einsam und wenn ich könnte, würde ich sofort zurück nach Hause. Aber jetzt heisst es Rückrat zeigen und durchhalten. Also kratze ich alles an Sarkasmus zusammen, was mir der liebe Herrgott geschenkt hat und fange an:

Von Santa Cruz aus (eine typische Grossstadt, alle Vorurteile treffen zu) ging es mit Anna und der Flota nach Trinidad. Natürlich in Begleitung einer Schwester. Irgendwann um 5 Uhr morgens wurde ich dann sprichwörtlich ausgesetzt. Mitten im Nirgendwo, mit einem viel zu schweren Rucksack, im Regen. “Willkommen in Begona, Giulia. Das hast du ja super hinbekommen.” Aber bevor der Äger über mich selbst zu gross werden konnte, lugten zwei Jungengesichter hinter dem Busheck hervor, gefolgt von Armen und Beinen, natürlich. Und so bekam ich meine ersten Internatsschüler präsentiert.
Ich bin jetzt seit etwas mehr als 2 Wochen in Begona und naja, fürs Einleben gibt es wohl kein Patentrezept. Ich warte noch.
Das größte Problem hier ist der dumme dumme dumme Dialekt. Ich werde nicht müde, davon zu erzählen un darüber zu schimpfen. Letzteres ist übrigens eine Fähigkeit, die ich in den letzten 2 Wochen zur Genüge trainieren konnte. Mittlerweile würde ich mich als Meisterin der Schimpfwortneologismen bezeichnen, ich glaube wirklich, ich sollte ein Buch schreiben. Dieser Schatz an Ausdrucksmöglichkeiten sollte der Welt nicht vorenthalten werden. Aber wenn man die üblichen Frasen so oft benutzt, dass sie keine Bedeutung mehr haben, muss man eben kreativ werde.
Hier im Norden spricht man nämlich das "s" sehr selten, auf dem Land (da wo ich stecke) gelinde gesagt gar nicht. Ich weiss nicht, ob die Menschen hier einfach zu faul sind oder ihre Zungenmuskulatur schlichtweg nicht dafür geeignet ist. Feststeht, dass ich absolut nichts verstehe. Anfangs konnte ich nicht mal "huweniaenorita" als Buenos Dias, Senorita deuten. Und leider versteht man mich und mein Schulspanischvokabular ebenso wenig. Ganz ehrlich, wozu mache ich mir bitte die Mühe, wenn man diese Wörter hier sowieso nicht kennt??! Mittlerweile verzichte ich darauf, mein Wörterbuch heruaszuholen, ich ernte doch eh nur ein ¿Que? aus grossen dunklen, verständnislos dreinblickenden Augen.

Ich habe hier mein eigenes Zimmer. Es liegt im selben Teil des Wohntracktes, wie die Räume der anderen Anestellten. Auf der anderen Seite befinden sich die 2 Schlafsäale der Kinder und das Zimmer des Padres. Die Schwestern wohnen seperat in einem eigenen Haus.
Am ersten Tag durfte ich ausschlafen, ich war die Nacht ja durchgereist. Hierbei blieb es bei einem erfolglosen Versuch. Fensterscheiben gibt es hier keine, die Hitze macht sie überflüssig. Das hat aber gleichzeitig zur Folge, dass man jedes Wort hört. Ich meine Zimmernachbarn, wenn sie Schooterspiele spielen, des Nachts natürlich, und meine Nachbarn mich, wenn ich am Schimpfen bin.
Aus dem Schlafen wurde also nichts. Deshalb bin ich kurzerhand aufgestanden, um mich umzusehen und das habe ich gefunden:
Keine Kinder. Die waren nämlich in der Schule, die 2 Felder weiter entfernt liegt. Dafür habe ich einen exklusiven Rundgang von Dona Angelica bekommen. Sie hat mir alles gezeigt; die Glocke, die ich schlagen muss, um die Kinder zu holen, dann den Waschraum zum Wäschewaschen und die grosse Küche mit angrenzendem Speisesaal.
Drumherum gibt es nichts. Pampa. Obwohl, nein, so kann man das nicht sagen. Es gibt eine ganze Menge. Grünes Zeug zum Beispiel; in Form von Bäumen, Büschen, Sträuchern und Pflanzen, die ich bisher noch nie gesehen habe. Nicht zu vergessen die Spinnen, Frösche, Käfer und andere tausend Krabbeltiere, allen vorran die Moskitos. Also alleine braucht man sich hier wirklich nicht zu fühlen.
Den Rest des Tages habe ich damit zugebracht, mich an den Gedanken zu gewöhnen, hier mein nächstes Jahr zu verbringen.
Allerdings wurde ich jäh von der Glocke unterbrochen, die mich zum Abendessen rief. Reifeprüfung, jetzt hieß es bestehen oder nicht bestehen, der erste Eindruck zählt. Meine Vorstellung habe ich deshalb ganz kurz gemacht, um mich schnell wieder aus dem Lichtspot aller Aufmerksamkeit zu verkrümeln; erst man abwarten!
Die Kinder haben so weit gut auf mich reagiert, sie kennen es ja nicht anders. Jedes Jahr kommt ein neues Mädchen und geht auch nach einem Jahr wieder.
Ein bunter Haufen Jungen und Mädchen im Alter von 5 bis 15, aufgeweckt und laut, wie Kinder eben sind. Und ich bin mir ganz sicher, dass es nicht nur Engel sind.
Danach bin ich totmüde ins Bett gefallen, das waren genug Eindrücke für den ersten Tag!
-Obwohl, stop, nein. Zuerst habe ich noch mein Zimemr geputzt (es gibt ja keine Fensterscheiben, die den Staub draußen halten könnten), Mücken gejagdt und Frösche auf ihrem Weg aus meinem Zimmer begleitet. Und dann bin ich totmüde ins Bett gefallen.